Kultur und Kunst zwischen Orient und Okzident


Zum Anfang Sizilien und Unteritalien als Brücke zum Orient

Der kurze Abriß der politischen Geschichte macht deutlich, welche wichtige Rolle Unteritalien und Sizilien im Früh- und Hochmittelalter spielten. Wie eine Brücke verband diese Region von alters her die Handelsstraßen, die von Mitteleuropa über die Alpen nach Italien führten, mit Nordafrika, der Balkanhalbinsel, Ägypten und Syrien. Besonders in der Zeit des Römischen Reiches hatte über lange Zeit ein intensiver Austausch über Land und See stattgefunden. So fest war die Kultur der Länder rings um das Mittelmeer noch in der Tradition der Spätantike verwurzelt, daß zum Beispiel in der Kunst des umayyadischen Kalifats noch viele spätantike Traditionen erkennbar sind.

Doch diese waren nur das Fundament, das bei der folgenden eigenständigen Entwicklung der Regionen zunehmend überlagert und verändert wurde. Die weit verzweigten Handelsbeziehungen bilden zweifellos die Grundlage für die Erklärung der wichtigsten kulturellen Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Ländern. Waren es doch die Händler und Kaufleute, die untereinander ständigen Kontakt hielten, Nachrichten übermittelten, Kunde brachten von fernen Ländern. Damit sollen politisch motivierte Aktionen oder auch geistige Bewegungen, wie die Kreuzzüge, nicht für wirkungslos gehalten werden, jedoch sind sie ohne vorherige Handelsbeziehungen kaum denkbar, oder sie waren ihrerseits handelspolitisch beeinflußt.

Die Brückenfunktion Unteritaliens und Siziliens ist zweifellos in der günstigen geographischen Lage begründet, die allerdings in Zeiten schwacher militärischer Absicherung die Region auch sehr verwundbar machte. Die küstennahe Schiffahrt jener Zeit war auf die Häfen Unteritaliens und Siziliens angewiesen. Wichtig war die Rolle Siziliens als Kornkammer, die die Handelsverbindungen zum Festland und nach Nordafrika entscheidend prägte. Ein Ziel der muslimischen Eroberungszüge von Nordafrika aus war auch der Einschlag von Holz für den Schiffbau, das damals in Süditalien noch reichlich vorhanden war. In normannischer Zeit spielten die jährlichen Tributzahlungen der Herrscher von Tunis im gegenseitigen Austausch sowie bei der Festigung und dem Ausbau von Handelsbeziehungen eine wichtige Rolle.

Zum Anfang Siziliens Architektur unter den Normannen

Zisa in Palermo, Quellenraum Die muslimische Periode brachte der Insel Sizilien auf der Grundlage einer vorbildlichen Bewässerungswirtschaft, die unter anderem die Anpflanzung von Baumwolle, Zuckerrohr, Reis und Orangenbäumen ermöglichte, und einer gut organisierten Verwaltung eine reiche Kultur. Ein Ausdruck dafür war der Gürtel von Gartenanlagen, der die Hauptstadt Palermo umspannte und in dem die in orientalischer Art erbauten Lustschlösser der Emire lagen. Die Normannen führten später diese Bautradition fort und übernahmen nicht nur Architekturelemente, wie zum Beispiel die im Sommer Kühle spendenden Quellenräume, sondern auch Dekorformen bis ins Detail. Das normannische Sommerschloß La Zisa in Palermo ist ein charakteristisches Beispiel für diese Bauten. Es wurde unter Wilhelm II. (reg. 1166-1189) vollendet und al-'aziza, "die Herrliche" genannt (italienisiert zu Zisa). Prachtraum des Palastes ist der mit Mosaiken und Nischen mit Stalaktitenwölbungen (muqarnas) ausgestattete Brunnensaal, in dem aus einer erhöhten Leitung Wasser über eine Schräge in einen Kanal floß, der in einen kleinen See mit Pavillon mündete.

Mit dem Beginn der Fatimidenherrschaft in Ägypten orientierte sich um das Jahr 1000 der Handel im Mittelmeerraum zunehmend auf Ägypten und Syrien. Dabei spielte die noch unter fatimidischer Oberhoheit stehende Insel Sizilien naturgemäß eine wichtige Rolle. Deutlich wird dies unter anderem an dem starken fatimidischen Einfluß auf die Kunstentwicklung, der noch weit in die normannische Zeit hinein nachwirkte. Roger I. übernahm nicht nur die arabische Verwaltung mit dem effektiven Steuersystem, sondern förderte auch islamische Kultur und Kunst. Daneben ließ der griechischsprachige Teil der sizilischen Bevölkerung und das Fortbestehen des griechischen Ritus in einigen Bereichen die Kontakte zum byzantinischen Kulturraum nicht abreißen. Ein Beispiel hierfür ist Santa Maria dell' Ammiraglio in Palermo, so der volle Name einer meist "La Martorana" genannten Kirche. Sie geht auf eine Stiftung des Großadmirals Rogers II., Georg von Antiochien, im Jahre 1143 zurück. In der byzantinischen Kreuzkuppelkirche wird die Messe noch heute nach griechisch-orthodoxem Ritus zelebriert. Neben den erlesenen Steinarbeiten ist vor allem ein Mosaik von großer Bedeutung, das Roger II. bei der Krönung durch Christus selbst zeigt. In dieser Darstellung wird die Auffassung des Herrschers von der Gottgewolltheit seines Königtums dokumentiert, obwohl er rechtlich ein Lehnsmann des Papstes war.

Kathedrale von Cefalù, Apsismosaik (1148) Aber selbst die starke Betonung byzantinischer Vorstellungen über die Königsherrschaft durch Roger II. führte nicht zu einer Zurückdrängung islamischer Einflüsse. Vielmehr entstand eine Mischung aus byzantinischen, islamischen und romanischen Elementen, die zu einem schöpferischen Stil mit besonderem ästhetischen Reiz verwoben wurden. Am augenfälligsten ist dies in der Palastkapelle (Cappella Palatina) im normannischen Stadtschloß von Palermo und in der Kathedrale von Cefalù zu beobachten. Die 1140 dem heiligen Petrus geweihte Cappella Palatina zeigt ein einzigartiges Zusammenspiel der verschiedenen Bestandteile und Stile. Die dreischiffige romanische Basilika mit einem Querhaus weist eine Trompenüberleitung bei der Vierungskuppel auf, die mit byzantinischen Mosaiken geschmückt ist. Die Decke des Langhauses besteht aus eindeutig islamischem Stalaktitenwerk, das den Eindruck eines prachtvollen gestirnten Himmels hervorruft. Die Bemalung zeigt unter anderem thronende Herrscherfiguren in islamischer Manier, deren Größe es aber nicht erlaubt, sie von unten zu erkennen. Auch in der Kathedrale von Cefalù, deren Grundsteinlegung Roger II. 1131 vornahm, befinden sich Mosaiken im byzantinischen Stil. Die prachtvolle Darstellung des Pantokrators (Christus als Weltenherrscher) ist hier als Apsismosaik ausgeführt und nicht, wie in der Ostkirche üblich, in der Kuppel angebracht. Die Holzbalkendecke des Langhauses ist – wieder von unten nicht erkennbar – mit Malereien im islamischen Stil versehen, die unter anderem thronende Herrscherfiguren und das orientalische Motiv des Tierkampfes zeigen.

San Giovanni degli Eremiti, Palermo Andere Bauwerke des 11. und 12. Jahrhunderts besitzen – neben der typisch islamischen Verwendung der halbkugelförmigen Kuppel auf einem kubischen Gebäude – die Trompenkuppel als das augenfälligste Merkmal, das den islamischen Einfluß verrät. San Giovanni degli Eremiti in Palermo wurde wahrscheinlich gleichzeitig mit der Cappella Palatina vor oder um 1140 erbaut und ist mit seinem schmucklosen Mauerwerk, den drei Kuppeln und dem von einer Trompenkuppel bekrönten Turm ein charakteristisches Beispiel für diese Beziehungen.

Dom von MonrealeIm Bereich des Architekturdekors sind es neben den Zinnenformen, die an fatimidische Traditionen anknüpfen, der Verwendung des Farbwechsels und den Einlegearbeiten aus farbigem Stein besonders die schon erwähnten Malereien auf Holz, die den Schluß nahelegen, daß muslimische Künstler und Bauleute an der Errichtung dieser Bauten beteiligt waren. Während die unter Wilhelm II. erbaute Kirche Santi Pietro e Paolo d'Agrò bei Scifi eine verhältnismäßig einfache Variante des Farbwechsels aufweist, zeigt der reiche Außendekor des Domes von Monreale (1172 begonnen) mit seinen mehrfarbigen Steininkrustationen, geometrischen Mustern und dem Reliefdekor der Säulen des Kreuzganges an der Südflanke des Domes eine deutlichere Anlehnung an islamische Dekorationsprinzipien und Einzelmotive. Die zwischen 1154 und 1160 errichtete Kirche S. Cataldo in Palermo zeichnet sich sogar durch eine kufische Inschrift an der Fassade aus. Es ist anzunehmen, daß auch in diesem Fall muslimische Bauleute für christliche Auftraggeber arbeiteten.

Zum Anfang Orient und Okzident

Die Existenz von Palastwerkstätten in Palermo ist für die Zeit der Normannen durch die Inschrift auf dem Mantel Rogers II. bezeugt. Dagegen ist das Herstellungszentrum der geschnitzten oder bemalten Elfenbeinarbeiten, die wegen der Kostbarkeit des Materials sicherlich ebenfalls in einer Hofwerkstatt und als Auftragsarbeiten hergestellt wurden, bislang unbekannt geblieben. Wahrscheinlich wird für diese Gruppe Palermo nicht ausgeschlossen werden können, doch sind auch Produktionszentren auf dem süditalienischen Festland erwogen worden.

Dom von Monreale, Marmorsäulen im Kreuzgang Im Architekturdekor und im Kunsthandwerk gehörten Tiere oder Fabel- und Mischwesen sowie üppiges Rankenwerk in Ägypten, Syrien und den angrenzenden Regionen zu den bevorzugten Motiven. Sie fanden ebenso in Unteritalien und Sizilien vielfach Verwendung, so daß von einem das Mittelmeer umspannenden Tier- und Rankenstil gesprochen werden kann. Sowohl in der Wahl der Tiere als auch in der Komposition der Darstellungen und der Art und Weise der Stilisierung des Rankenwerkes sind häufig noch spätantike und sassanidische Traditionen spürbar. In der islamischen Welt entwickelten sich aber bald eigene ikonographische Schemata, besonders im Zusammenhang mit dem Leben am Hofe und der Darstellung des Herrschers. Der thronende Herrscher, der Fürst mit dem Becher, Bankettszenen als Bestandteil des Hoflebens und die fürstliche Jagd gehörten zu den wichtigen Bildthemen, häufig ergänzt oder ersetzt durch astrologische Bezüge. Dabei konnte der Herrschaftsanspruch mit dem Symbol der Sonne ebenso ausgedrückt werden wie mit dem schlagenden Raubvogel die Vernichtung der Feinde des Fürsten. Von den Pilgerfahrten zu den heiligen Stätten über sizilische und unteritalienische Häfen zurückkehrende Pilger – auch normannische Ritter – sorgten neben den Händlern für den ständigen Austausch kunsthandwerklicher Erzeugnisse mit diesen orientalischen Motiven, die zudem oft den Reiz des Fremdartigen hatten oder mit dem Heiligen Land verbunden und so besonders gern aufgenommen wurden. Eine wichtige Rolle spielten in diesem Zusammenhang die aus dem Orient mitgebrachten Reliquien, die vor allem für die Neugründung von Kirchen benötigt wurden. Auf diese Weise gelangten beispielsweise zahlreiche fatimidische Bergkristallarbeiten als Reliquienbehälter nach Europa.

Eine neue Qualität erreichte dieser Austausch in der Zeit der Kreuzzüge. Dies wird am Beispiel einer Gruppe islamischer Metallgegenstände mit christlichen Darstellungen besonders deutlich. In Form, Technik und Stil sind diese Metallarbeiten eindeutig islamisches Kunsthandwerk. Als Auftraggeber oder Käufer kommen neben Angehörigen der muslimischen Oberschicht und wohlhabenden einheimischen Christen auch christliche Ritter in den Kreuzfahrerstaaten in Frage. Die Gesandtschaften, die christliche und muslimische Herrscher austauschten und die in der Regel reiche Geschenke mit sich führten, trugen sicher ebenfalls zur Vermittlung von Motiven und Stilelementen bei. Gut unterrichtet sind wir über den Austausch von Geschenken zwischen Friedrich II. und dem Ayyubidensultan al-Kamil, besonders während des Kreuzzuges in den Jahren 1228 und 1229:

"Der Sultan von Babylon [Malik el-Kamil] aber schickte ihm, nachdem er seine Ankunft in Syrien erfahren hatte, viele und wertvolle Geschenke: Gold, Silber, seidene Tücher, kostbare Steine, Kamele, Elefanten, Bären und Affen und andere staunenerregende Dinge, deren aller die Länder des Westens entbehren."

Al-Kamil "machte sich daran, seinerseits dem König der Franken prachtvolle Geschenke zu senden, unter denen man Sachen aus Indien, dem Yemen, Irak, Syrien, Ägypten und Persien bewunderte und die doppelt so viel wert waren wie jene, die ihm der Kaiser gesandt hatte."

Nur am Rande sei erwähnt, daß auch europäische Motive durch Aktivitäten der Herrscher in den islamischen Kulturkreis gelangen konnten. So gestattete beispielsweise Friedrich II. dem Emir Fakhr ad-Din, das Wappen der Hohenstaufen zu tragen.

Auch nach dem Kreuzzug rissen die diplomatischen Kontakte nicht ab: Gesandtschaften brachten immer wieder reiche Geschenke des Sultans an den sizilischen Hof und knüpften weitere Handelskontakte. Kein anderer Herrscher pflegte so intensive Beziehungen zum Orient wie Friedrich II., und der reiche Strom kostbarer Geschenke weckte, ausgehend vom Hof, immer wieder Bedürfnisse nach Waren aus dem Morgenland.

Zum Anfang Das Ende einer Epoche

Nach dem Tode Friedrichs veränderte sich in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts die politische Situation im gesamten Mittelmeerraum ziemlich rasch. Die großen oberitalienischen Seehandelsstädte, allen voran Venedig, wurden so mächtig, daß die unteritalienischen und sizilischen Häfen zunehmend an Bedeutung verloren. Gleichzeitig konnten viele der ehedem nur aus dem Orient zu beziehenden Waren mehr und mehr in Europa selbst hergestellt werden, so daß sich auch die Struktur des Handels veränderte. Der Zusammenbruch der Kreuzfahrerstaaten und das Ende der Kreuzzüge kündigten den endgültigen Abschluß einer ganzen Epoche an. Diese umfangreichen wirtschaftlichen und politischen Umwälzungen hinterließen bald ihre Spuren in Architektur und Kunst Unteritaliens und Siziliens. Auch im islamischen Kulturkreis begann mit dem Vordringen der Mongolen und den damit verbundenen starken Einflüssen aus Mittelasien und dem Fernen Osten eine neue Phase der Kunstentwicklung, die sich stärker gegen die spätantiken Traditionen absetzte. Im Mamlukenreich wurden ebenfalls neue Wege eingeschlagen, die sich in einer Tendenz zum stark geometrischen und nichtfigürlichen Dekor erkennen lassen. Demgegenüber ging der mittelmeerische Tier- und Rankenstil im Westen in gotischen Formen und Vorstufen der Renaissance auf, so daß mit dem Anfang des 14. Jahrhunderts das Zeitalter, für das Friedrich II. Roger gleichsam den glanzvollen Schlußstein bildete, endgültig zu Ende war.

Zum Anfang TimeMapper

Weitere Beispiele sind in einer Übersicht mit dem TimeMapper zu finden. Das Laden kann etwas Zeit in Anspruch nehmen.

Zum Anfang Quelle

Das Staunen der Welt: Das Morgenland und Friedrich II. (1194–1250) / [Katalog zur gleichnamigen Sonderausstellung im Museum für Islamische Kunst,Staatl. Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 26.12.1994–12.3.1995, verlängert bis 3.9.1995]. – Berlin : Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 1995. – (= Bilderheft d. Staatl. Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz ; 77/78), ISBN 978-3-7861-1856-5, S. 13-17.

 

 

aktualisiert: 06.01.2023