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Islamische Architektur auf Sizilien?
Orientalische Einflüsse in der Baukunst der Sarazenen, Normannen und Staufer
Deutsche Sizilienreisende hat die kulturelle Blüte der Insel im Altertum schon von jeher fasziniert. Wer sich jedoch für mittelalterliche Kultur und Kunst begeistert, der findet hier ebenfalls Erfüllung. Eine Mischung aus byzantinischer, arabischer und romanischer Architektur, verwoben zu einem eigentümlichen Stil mit besonderem ästhetischen Reiz, bietet dem Betrachter Einblicke in ein Kapitel europäischer Kunst- und Kulturgeschichte, ohne das die viel besser bekannte und erforschte Renaissance kaum denkbar wäre.
Der Glanz der Antike war längst vergangen, als im Jahre 902 mit der Eroberung Taorminas und Catanias an der Ostküste die arabische Eroberung Siziliens ihren Abschluß fand. Obwohl nach zeitgenössischen Berichten die anderthalb Jahrhunderte islamischer Herrschaft die Insel in einen blühenden Garten verwandelten, ist aus dieser Zeit nur wenig erhalten: bei dem Ort Cefalà Diana bietet die Ruine eines Bades noch ein recht anschauliches Beispiel für die hochentwickelte Kultur dieser Zeit.
Erst im 11. Jh. gelang es den unter päpstlicher Lehenshoheit stehenden Normannen, Sizilien wieder unter eine christliche Herrschaft zu bringen. 1130 erlangte Roger II. (Regierungszeit: 1101 – 1154) dann den Königstitel und führte die normannische Dynastie Hauteville damit auf den Höhepunkt ihrer Macht. Obwohl man bei der Eroberung grausam gegen die Muslime vorgegangen war, schlugen die neuen Herren anschließend einen ganz anderen Weg ein. Muslime wie Juden konnten nicht nur unangefochten ihre Religion ausüben, sondern es entwickelte sich auf vielen Gebieten eine tolerante Atmosphäre, in der besonders Wissenschaft und Kunst gediehen. In dieser Zeit entstand in der Baukunst – vom normannischen Herrscherhaus selbst gefördert – der bereits erwähnte Mischstil, der byzantinische, arabische und christliche (vor allem romanische) Elemente zu einer neuen Einheit verwob. Bauwerke in Palermo, Monreale, Cefalù, Castelvetrano, Mazara del Vallo, in kleineren Orten zwischen Taormina und Messina sowie in Messina selbst geben hiervon Zeugnis.
Die tolerante und weltläufige Politik der Normannen führte auch der Enkel Rogers II. fort: Friedrich II. Roger (* 1194, † 1250), väterlicherseits der Enkel Friedrichs I. von Hohenstaufen (Barbarossa). Dieser hochgebildete Herrscher verband in seiner Person einen glänzenden politischen Lebensweg mit einer für seine Zeit ungewöhnlichen Toleranz in Glaubensfragen. Seit 1198 bereits König Siziliens wurde er 1212 und endgültig 1215 zum deutschen König gewählt. Im Jahre 1220 krönte ihn der Papst in Rom zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, als der er in den Jahren 1228 und 1229 den einzigen Kreuzzug leitete, der ohne Kampfhandlungen durch einen Friedensvertrag mit den Muslimen beendet werden konnte. Er gewährte auch den nichtchristlichen Untertanen in seinen Reichen Glaubensfreiheit, förderte Kunst und Wissenschaft unabhängig von religiösen Bindungen. Unter diesem Herrscher, der unter anderem arabisch sprach, entstanden ebenfalls Bauwerke, die orientalische Anregungen verschiedenster Art aufnahmen. Allerdings finden sich auf Sizilien nur wenige Bauwerke Friedrichs, da er in der Regel in Apulien residierte.
Nicht nur in der typisch islamischen Verwendung der halbkugelförmigen Kuppel auf einem kubischen Gebäude ist die Trompenkuppel das augenfälligste Merkmal, das den islamischen Einfluß bei Bauwerken dieser drei Epochen verrät. Die Kombinationen dieses Elements mit byzantinischen (Kreuzkuppelkirche) und romanischen (Basilika) Raumvorstellungen geben bereits einen Vorgeschmack auf die lebhaften Spannungsverhältnisse im Bereich des Architekturdekors. Hier sind es neben den Zinnenformen, die an fatimidische Traditionen anknüpfen, der Verwendung des Farbwechsels und den Einlegearbeiten aus farbigem Stein besonders die Malereien auf Holz, die den Schluß erlauben, daß muslimische Künstler und Handwerker an der Errichtung der Bauten beteiligt waren. Aber auch bestimmte Bautypen wie die Palastanlagen und Pavillons in Palermo gehen eindeutig auf islamische Vorbilder zurück.
Die Bauwerke
Von dem im 11. Jh. errichteten arabischen Bad bei Cefalà Diana sind noch bedeutende Teile erhalten, die z.T. auch restauriert wurden. Neben den anmutigen Säulenstellungen, die noch dieser Ruine einen eleganten und luxuriösen Ausdruck verleihen, sind besonders die arabischen Inschriften an der Außenseite beachtenswert.
Im Südwesten der Insel findet man bei Castelvetrano die Chiesa della Santissima Trinitá di Delia aus dem 12. Jh. Die Anlage mit drei Apsiden ist sicher zu den Juwelen der Baukunst aus normannischer Zeit zu zählen. Ähnlich wie S. Cataldo in Palermo sind die Fenster mit schönen Steingittern verkleidet, die unübersehbar an islamische Ornamentik anknüpfen. Nur wenige Kilometer entfernt bietet sich mit S. Nicolò Regale (12. Jh.) in Mazara del Vallo dem Betrachter ein in Konzeption und Ausführung recht ähnliches Bauwerk.
Ganz anders als diese bescheideneren architektonischen Kleinodien sollte die Kathedrale von Cefalù gleichsam das Hauptjuwel in der Krone der sizilianischen Kirchen werden. Mit dem riesenhaften Bau wurde auf Anweisung Rogers II. im Jahre 1131 begonnen. Blickt man von dem über die Stadt ragenden Felsen, der Rocca di Cefalù, auf das Querhaus des Domes, kann man erkennen, daß das Langhaus niedriger ist, weil das ursprüngliche Vorhaben Rogers II. nicht in vollem Umfange ausgeführt wurde. Im Innern befinden sich byzantinische Mosaiken, deren Fertigstellung in das Jahr 1148 datiert werden kann. Obwohl hier sicher byzantinische Meister am Werke waren, ist die prachtvolle Darstellung des Pantokrator als Apsismosaik ausgeführt und nicht, wie in der Ostkirche üblich, in der Kuppel angebracht. Die Fassade der Kathedrale wurde erst im Jahre 1240 vollendet. Die Holzbalkendecke des Langhauses ist – von unten nicht sichtbar – mit Malereien im islamischen Stil versehen, die u.a. thronende Herrscherfiguren und das orientalische Motiv des Tierkampfes zeigen. Ursprünglich gehörten auch zwei Porphyrsarkophage zur Ausstattung des Domes. Mit der Verwendung dieses Steines dokumentierte Roger II. seine imperialen Ansprüche und beabsichtigte wohl, hier die Grablege seines Hauses zu begründen. Friedrich II. ließ die beiden Sarkophage nach Palermo bringen, wo sie noch heute in der Kathedrale als Grablege für ihn selbst und seinen Vater Heinrich VI. dienen.
In Palermo befindet sich auch die La Magione genannte Kirche di SS. Trinità. Sie wurde um 1150 von Matteo d'Aiello, dem Kanzler Rogers II., gegründet. Ihren Beinamen „Ordenshaus“ (La Magione) erhielt sie, nachdem Heinrich VI. sie dem Deutschritterorden übergeben hatte. Die Anlage weist wiederum drei Apsiden auf, teilweise sind antike Säulen wiederverwendet worden.
Die beiden einander benachbarten Kirchen S. Cataldo und La Martorana gehören aus verschiedenen Gründen zu den Bauwerken Palermos, die der kunstgeschichtlich interessierte Besucher Palermos nicht übergehen darf. S. Cataldo wurde 1161 von Admiral Maione da Bari gestiftet. Die 1884 restaurierte Kapelle ist mit ihrem kompakten, von drei halbkugelförmigen Kuppeln gekrönten Kubus, dem typisch islamischen Zinnenfries und den steinernen Fenstergittern eine der am deutlichsten orientalisch geprägten Bauten der Insel. Die Kirche Santa Maria dell'Ammiraglio, so der volle Name der Martorana, geht auf eine Stiftung des Großadmirals Rogers II., Georg v. Antiochien, im Jahre 1143 zurück. In der byzantinischen Kreuzkuppelkirche wird die Messe noch heute im griechisch–orthodoxen Ritus zelebriert. Neben den erlesenen Steinarbeiten ist vor allem ein Mosaik von großer Bedeutung, das Roger II. bei der Krönung durch Christus selbst zeigt. In dieser Darstellung wird die Auffassung des Königs dokumentiert, daß er sein Königtum direkt von Gott empfangen habe, obwohl er rechtlich ein Lehnsmann des Papstes war.
Als Hauptwerk der Zeit Rogers II. muß wohl die im normannischen Stadtschloß von Palermo befindliche Palastkapelle (Cappella Palatina) angesehen werden, mit deren Bau 1132 begonnen wurde. Die 1140 dem heiligen Petrus geweihte Kirche zeigt ein einzigartiges Zusammenspiel der verschiedenen Bestandteile und Stile. Die dreischiffige romanische Basilika mit einem Querhaus weist eine Trompenlösung als Vierungskuppel auf, die wiederum mit wundervollen byzantinischen Mosaiken geschmückt ist. Die Decke des Langhauses besteht aus eindeutig islamischem Stalaktitenwerk, das den Eindruck eines prachtvollen gestirnten Himmels hervorruft. Die Bemalungen zeigen u.a. thronende Herrscherfiguren, deren Größe es aber – wie in Cefalù – nicht erlaubt, sie von unten zu erkennen.
Nicht weit von Palermo entfernt befindet sich ein weiterer Erzbischofssitz. Der Dom von Monreale wurde 1172 auf Veranlassung Wilhelms II. (des Guten) begonnen und 1182 vollendet. In seinem Innern befindet sich der größte Mosaikzyklus Siziliens, ebenfalls in hervorragender Arbeit byzantinischer Tradition. Ähnlich wie Roger II. in der Martorana ist Wilhelm II. hier dargestellt, wie er die Krone von Christus erhält. Nicht nur die farbigen Steinarbeiten im Innern des Domes und die prachtvolle Verzierung der Außenseiten der Apsiden mit dunklem Stein zeigen die Einflüsse aus dem Orient. Im angrenzenden Kreuzgang sind Kapitelle in wundervoller Steinmetzarbeit und gleichsam mit Marmorschnitzwerk verzierte Säulen zu bewundern, deren Tier- und Rankendekor gleichfalls Verbindungen zur islamischen Kunst aufweist.
Im Gegensatz zu den in normannischer Zeit gegründeten Bauwerken kann die Anlage der Kirche S. Giovanni degli Eremiti in Palermo auf eine lange Geschichte zurückblicken. Im 6. Jh. befand sich an der Stelle ein Benedektinerkloster, das in arabischer Zeit zur Moschee umgebaut wurde. 1132 schließlich wurde auf Veranlassung Rogers II. das heutige Gotteshaus erbaut, das mit seiner markanten Kuppelreihe und dem ebenfalls von einer Trompenkuppel gekrönten Turm einen sehr orientalischen Eindruck vermittelt.
Wo heute die Kathedrale von Palermo steht, befand sich auch schon im 6. Jh. eine christliche Basilika, später errichteten die Muslime an dieser Stelle eine Moschee. Im Jahre 1170 legte der Erzbischof Walther of the Mill, ein Minister Wilhelms II., den Grundstein für den Dom, der 1185 geweiht wurde. Hier befinden sich die Gräber Rogers II., Heinrichs VI., der Konstanze von Sizilien, Friedrichs II. und der Konstanze von Aragon.
Aber nicht nur Kirchen sind aus normannischer Zeit in Palermo erhalten geblieben. Rings um die Stadt war schon in arabischer Zeit eine Reihe von Gärten angelegt worden, in deren luftigen Palastbauten mit Wasserspielen sich die Emire in den heißen sizilianischen Sommern aufhalten konnten. Unter anderem mit der Errichtung der Zisa (1154 – 1166) setzten Wilhelm I. und Wilhelm II. diese Tradition fort. Hier kann auch noch ein sogenannter Quellenraum besichtigt werden, in dem über eine unebene (und damit größere) Fläche ständig Wasser floß und so Kühle spendete. Der über dieser Anlage angebrachte Stalaktitendekor (muqarnas) weist auch hier wieder auf die engen Bindungen solcher Anlagen an islamische Vorbilder hin. Ein anderer Bau, das auch Maredolce genannte Schloß Favara, wird meist mit dem noch in arabischer Zeit in den Quellen erwähnten Qasr Djafar identifiziert. Von der einst von Wasser umgebenen Anlage, die die Lieblingsresidenz Friedrichs II. in Palermo gewesen sein soll, sind nur noch Reste erhalten, an denen sich mit Mühe noch zugemauerte spitzbogige Fensteröffnungen erkennen lassen. Die Verbindung von Kubus und halbkugelförmiger Kuppel läßt sich in reiner Form an dem kleinen pavillion-ähnlichen Bau der Cubula beobachten. Sie wurde wohl um 1180 errichtet und gehörte vermutlich zu den die Cuba umgebenden Gartenanlagen.
Ein Bauwerk, das durch die Ausgewogenheit seiner Proportionen bezaubert, ist der Ponte dell'Ammiraglio, der einst den Oreto überbrückte. Der Großadmiral Rogers II. Georg von Antiochien stiftete die nach ihm benannte Brücke aus Spitzbögen im Jahre 1113.
Über all dem Reichtum an Bauwerken aus der Normannenzeit in Palermo sollten einige architektonische Kleinodien an der Ostküste Siziliens nicht vergessen werden. So bietet Taormina neben dem Theater aus griechischer Zeit auch den unter den Staufern begonnenen Dom S. Nicola, der vor allem durch seine schlichte Schaufassade wirkt. Wesentlich verschwenderischer ist dagegen die kleine Chiesa Santi Pietro e Paolo d'Agró in einem Seitental nördlich von Taormina ausgestattet. Die von 1170 – 1172 unter Wilhelm II. erbaute griechisch–orthodoxe Klosterkirche ist nicht nur mit den üblichen Blendarkaden verziert, sondern zeigt in der Verwendung von drei verschiedenfarbigen Steinsorten auch deutlich Einflüsse aus dem islamischen Architekturdekor. Der Bau geht in den Grundzügen seiner Anlage wohl auf das Vorbild der Kirche S. Pietro in Itála zurück, die 1093 von Roger I. errichtet worden war. Dieser war ebenfalls Bauherr der Klosterkapelle S. Maria (1082) in Mili San Pietro, die wieder eine typische Kombination aus Kubus und halbkugelförmiger Kuppel aufweist.
Abschließend sei noch die Chiesa di SS. Annunziata dei Catalani in Messina erwähnt, die als einziges Bauwerk die Erdbeben von 1783 und 1908 überstanden hat. Die aus dem 13. Jh. stammende Schauseite des Baues aus dem 12. Jh. wird zwar von einer byzantinisch anmutenden Kuppel gekrönt, doch sind die Blendarkaden und der mehrfarbige Steindekor wiederum Hinweise auf orientalische Traditionen des Baudekors.
Die häufige Benennung des hier vor allem anhand der islamischen Anteile umrissenen Stils als „arabo-normannisch“ – unter Vernachlässigung der byzantinischen Elemente – macht deutlich, daß der Forschungsstand auf diesem Gebiet keineswegs befriedigen kann. Die notwendige Beschränkung ließ es auch nicht zu, auf die Unterschiede einzugehen zwischen den (nicht immer gesicherten) Vorbildern in der islamischen Kunst und ihrer Verarbeitung in Architektur und Dekor auf Sizilien. Deshalb sollten in erster Linie Eindrücke anhand der Betrachtung der Bauwerke vermittelt werden, die eine in sich geschlossene kunstgeschichtliche Analyse nicht ersetzen können.
Erstveröffentlichung in: Eothen: Jahreshefte der Gesellschaft der Freunde islamischer Kunst und Kultur. – München 4-7 (1993-1996) 1998. – S. 159-163.
Zeitstrahl und Karte mit Abbildungen (TimeMapper)
Weitere Beispiele sind in einer Übersicht mit dem TimeMapper zu finden. Das Laden kann etwas Zeit in Anspruch nehmen.
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